
„Der BVB wird jede Krise meistern“
September 17, 2022
Im Foto: A. Fuhr und A. Heiermann
von J. Schuetz
„Der BVB wird jede Krise meistern“
So lautet das zuversichtliche Zitat von Präsident, Dr. Reinhard Rauball, im aktuellen Nachhaltigkeitsbericht 2020/21 von Borussia Dortmund’s Fussballern, auf die kommenden Herausforderungen.
Das sich die nächste Krise abseits von Corona und in der Handballabteilung des Traditionsvereins abspielen würde, war auch Rauball beim Verfassen dieser Worte wahrscheinlich nicht bewusst.
Medial kam der Stein am Dienstag den 6. September, in den Dortmunder Ruhr Nachrichten, ins Rollen. Schon seit einiger Zeit waren die beiden Nationalspielerinnen, Mia Zschocke (keine Angabe) und Amelie Berger (Reha nach Knieverletzung) krankgeschrieben und dem Training der Handballerinnen ferngeblieben.
Angesprochen auf die Umstände wurde BVB-Abteilungsleiter Andreas Heiermann mit den Worten zitiert: „Ich habe das Gefühl, dass sie (Zschocke und Berger) keine Lust mehr auf den BVB haben“, um nur einen Tag später einzuräumen, dass ihm die fristlosen Kündigungen der beiden Spielerinnen bereits seit Montag (5.9.) vorliegen würden.
Heiermann weiter: „Wir haben keine inhaltliche Kenntnis darüber, was für eine fristlose Kündigung spricht und haben daher der Kündigung widersprochen, sodass der Arbeitsvertrag für uns weiter bestand hat.“
Die sich bis dahin als scheinbar gewöhnlicher Rechtsstreit entwickelnde Situation sollte bald an Brisanz gewinnen.
“Anlauf gegen Gewalt”
Gemäß dem Berater von Zschocke und Berger würden die Interessen der beiden Spielerinnen in dieser Angelegenheit von dem eingetragenen Verein „Athleten-Deutschland“ wahrgenommen und die unabhängige Beratungsstelle „Anlauf gegen Gewalt“ wäre ebenfalls kontaktiert.
Der 2017 gegründete und im laufenden Geschäftsjahr mit EURO 770.000 aus Bundesmitteln geförderte Verein tritt u.a. „für fairen und sauberen Sport, frei von Missbrauch und Gewalt, Manipulation und Misswirtschaft ein.“
Damit hatte der sich abzeichnende Konflikt eine neue Dimension erhalten. Abteilungsleiter, Heiermann, äußerte sich den Ruhr Nachrichten gegenüber von etwaigen Missständen „keinerlei Kenntnis“ zu haben.
Die betroffenen Spielerinnen nebst Berater hüllten sich in Schweigen und auch der Trainer der Dortmunder Handballfrauen, Andre Fuhr, legte den Fokus auf Samstag, den 1. Spieltag in der Handball Bundesliga der Frauen, zwischen Dortmund und Halle-Neustadt.
Digitaler Lynchmob
Ganz anders präsentierte sich die Situation in den sozialen Medien. Dort war von Zurückhaltung und Meinungslosigkeit nichts zu erkennen und in dem Forum „Handball Ecke“ brachen sich die Spekulationen bahn.
Neben den zahlreichen, anonym auftretenden, Diskutanten fielen zumindest zwei Aussagen auf, die Gewicht signalisierten.
Auf die Schlagzeile der Ruhr Nachrichten: „BVB-Spielerinnen kündigen: Anlaufstelle Gewalt und Missbrauch im Spitzensport kontaktiert“ orakelte Ferenc Rott (Geschäftsführer der TuS Metzingen und 1. Beisitzer der Handball Bundesliga Frauen) auf Facebook: „Die Schlinge zieht sich zu…“
Am Samstag, wenige Stunden vor dem ersten Heimspiel der BVB-Handballerinnen, „wusste“ Handballnationaltorhüter, Silvio Heinevetter (MT Melsungen) zur Causa Zschocke / Berger offensichtlich schon mehr und wurde deutlich.
Heinevetter, wie Zschocke und Berger, beraten von Björn Schultz, veröffentlichte eine Serie von Posts via Instagram Stories, die BVB Trainer Andre Fuhr, als Täterfigur identifizierte.
Im Netz waren Vorverurteilung und Diffamierung im vollen Gang und ein Hauch von Lynchjustiz lag in der Luft.
Abteilungsleiter Heiermann stellte in den Ruhr Nachrichten klar, dass er es „grundsätzlich abstoßend findet, wie Menschen im Netz diffamiert werden“ und das er „keine Vorwürfe gegen Andre Fuhr kenne, die das rechtfertigen, was aktuell im Netz passiert. Auch kenne ich keine Vorwürfe, die die Basis für diese Gerüchte bilden könnten.“
Allen Widrigkeiten zum Trotz bestritten die Dortmunder Handballerinnen den Saisonauftakt erfolgreich, aber schnell sollte die Freude über den 34:24 Sieg gegen Halle-Neustadt der Aufmerksamkeit auf den folgenden Montag, weichen.
Krisentreffen
Für den 12.9. war ein Krisentreffen auf der Geschäftsstelle von Borussia Dortmund angesetzt.
Der Personenkreis, gemäß den Ruhr Nachrichten, umfasste die beiden Handballspielerinnen Zschocke und Berger, deren Anwälte und Berater, BVB Präsident Rauball, zwei Anwälte von Borussia Dortmund und Daniel Lörcher , Leiter der Abteilung Corporate Responsibility beim BVB, sowie einer Vertreterin von Athleten Deutschland e.v. / “Anlauf gegen Gewalt“.
Nach der Besprechung gab es zumindest nach außen weiterhin nichts konkretes und Andreas Heiermann stellte via der Deutschen Presse Agentur (dpa) klar, dass „Wasserstandsmeldungen in dieser Situation jetzt nicht hilfreich wären.“
Auch der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Handballbundes (DHB), Mark Schober, war über das sich abzeichnende Drama in Dortmund informiert und äußerte sich am Vorabend der DHB-Präsidiumssitzung am 13.9. gegenüber der dpa ausweichend.
„Der Sachverhalt“ wäre dem DHB bekannt, aber „aufgrund der Persönlichkeitsrechte der beiden Spielerinnen geben wir da keinen Kommentar zu ab. Wir sind im aktuellen Verfahren auch nicht Partei.“
Vorwürfe und Fragen
Konkreter wurde es dann am Freitag (16.9.) nach einer weiteren BVB Krisensitzung.
Nach Informationen, welche den Ruhr Nachrichten vorliegen, sieht sich der Coach der Dortmunder Handballfrauen, massiven Vorwürfen von erheblicher Tragweite ausgesetzt.
So soll es um den Aufbau von Abhängigkeitsverhältnissen, Ausnutzen einer Machtstellung sowie psychischer Gewalt gehen. Mehr als 20 Spielerinnen und andere Personen aus dem Profi-Handball hätten gegenüber BVB-Trainer Andre Fuhr ähnliche Vorwürfe erhoben.
Damit stellen sich nicht nur für die Dortmunder Handballabteilung eine Reihe von Fragen deren Antworten kaum Aufschub dulden.
Wann, wie und ob überhaupt wird sich BVB-Trainer Fuhr zu den schwerwiegenden Anschuldigungen äußern und wie wird er sich verhalten?
Am Samstag steht der 2. Bundesligaspieltag an und Dortmund wird in Neckarsulm antreten. Mit oder ohne Fuhr auf der Bank?
Wie schnell kommt es zu Auflösungsverträgen zwischen Verein und Mia Zschocke und Amelie Berger?
Warum die durchsichtige Unwissenheit am Dienstag der letzten Woche obwohl die fristlosen Kündigungen der beiden Nationalspielerinnen bereits auf dem Tisch lagen? Die Aussagen Heiermann’s haben der Glaubwürdigkeit des Vereins jedenfalls nicht gedient.
Wie soll es in der Angelegenheit generell weiter gehen und wer von Borussia Dortmund leitet die nächsten Schritte? Andreas Heiermann?
Oder übernimmt Rauball ab jetzt das Geschehen? Neben den betroffenen Personen hat auch das Ansehen der Sportmarke Borussia Dortmund und deren Werte ggf. viel zu verlieren. Der Leiter der Handballabteilung erscheint hier als Führungsperson ungeeignet.
Wie lange kann sich der DHB der Situation entziehen?
Derzeit arbeitet Andre Fuhr auch als Juniorinnen Nationaltrainer und auf der Webseite betont der DHB, unter der Rubrik Missbrauchsprävention, die „Förderung einer Kultur des Hinsehens“ und weiter „jegliche Form von Gewalt und eine offene Kommunikation mit diesen Themen gelten auf allen Ebenen als Selbstverständlichkeit“. Passiert das?
Welche Position nimmt die Handball Bundesliga der Frauen ein?
Waren auch dort der Sachverhalt bzw. die Anschuldigungen gegenüber Fuhr bekannt und wenn „ja“ seit wann und warum wurde nichts unternommen? Kaum anzunehmen das der 1. Beisitzer der Liga, Ferenc Rott, nur auf Facebook so klar seine Meinung kund tat.
Wie agiert Athleten-Deutschland e.v. / „Anlauf gegen Gewalt“ weiter? Für den Verein dürfte die Arbeit erst richtig anfangen, wenn die schweren Vorwürfe gegenüber BVB-Trainer Fuhr nicht schnell und vorbehaltlos entkräftet werden.
Unter der Rubrik „Unsere Werte“ heißt es auf der Webseite von Athleten-Deutschland u.a. „Raus aus den Hinterzimmern, zu den Athlet*innen. In die Öffentlichkeit. Denn: Der Sport gehört allen.“
Selbiges erscheint dringend geboten.
Transparente Aufarbeitung
Eine sorgfältige und transparente Aufarbeitung ist zwingend erforderlich und im Interesse von allen Beteiligten – insbesondere gegenüber den beiden Spielerinnen, Mia Zschocke und Amelie Berger und dem Trainer, Andre Fuhr, aber auch den BVB-Handballerinnen, dem Verein Borussia Dortmund, der Handball Bundesliga der Frauen, dem Deutschen Handball Bund und in letzter Konsequenz dem Handball bzw. dem Sport insgesamt.
„Der BVB wird jede Krise meistern.“ Es ist wieder so weit.