
Die Lage der Nation: Wer die Wahl hat, hat die Wahl
March 3, 2023
von Sascha Staat
Etwas mehr als drei Monate ist es her, da kamen die deutschen Frauen bei einem Turnier mal wieder auf dem siebten Platz ins Ziel. Es fehlte die Konstanz, vor allem fehlte aber die Tiefe im Kader. Denn Markus Gaugisch hatte zu seiner Stammformation nur wenige Alternativen. Hinzu kam, dass zum Beispiel mit Antje Döll eine Spielerin fehlte, die auf und neben der Platte eine deutlich wichtigere Rolle spielt, als man das auf den ersten Blick vermuten könnte.
Nun, wo gefühlt alle wieder fit sind, spielt die Zeit für den Bundestrainer. Denn er kann testen und probieren, wie im Spiel gegen Ungarn bereits zu sehen war. Einige junge Talente wie Viola Leuchter konnten wichtige Erfahrungen sammeln, aber auch Annika Lott machte auf sich aufmerksam. Die Thüringerin ist eigentlich auf der Halbposition zuhause, könnte aber in Zukunft als Spielmacherin die dringend nötige Alternative für Alina Grijseels sein, zumal sich ihre Spielweise stark unterscheidet.
Zu viel Last lag gerade bei den beiden vergangenen Turnieren auf den Schultern der Dortmunderin, genauso wie auf Emily Bölk. Gaugisch entschied für eine Rückraumformation mit Bölk, Grijseels und Julia Maidhof und brachte Xenia Smits erst später von der Bank. Die Bietigheimerin harmonierte auch im Innenblock gut mit Lott, später agierte das Duo zusammen mit Rückkehrerin Alicia Stolle und Leuchter im Rückraum.
Spannend zu sehen war, dass man einen Leistungsabfall trotzt der Wechsel nicht erkennen konnte. „Genau da müssen wir hin, wenn wir vorankommen wollen“, sagte Gaugisch nach dem klaren Sieg gegen allerdings auch schwache Ungarinnen, was allerdings auch der starken eigenen Leistung zu verdanken war. Und die war eben durch die Bank weg gut, auch Sarah Wachter als Nummer zwei hinter Katharina Filter wusste zu überzeugen.
Sie spielt ab dem Sommer bei Borussia Dortmund, was ihr nochmal einen Leistungsschub geben sollte. Die Zeit spielt also in diesem Faktor auch für Gaugisch. Das bestätigte auch Xenia Smits in ihrem Interview mit stregspiller.com nach der Partie. „Wir haben einfach mehr Zeit mit Markus gehabt und jetzt andere Schwerpunkte gelebt. Das sind alles kleine Puzzleteilchen und irgendwann wird dieses Puzzle dann vollständig sein“, meinte sie.
Smits sieht die Mannschaft also definitiv auf dem richtigen Weg und es scheint eine Frage der Geduld zu bleiben. Aber selbstverständlich auch eine der Möglichkeiten. Bisher fehlte immer ein kleines Puzzleteil, um endlich mal wieder den Sprung in ein Halbfinale zu schaffen. Geduld und Akribie könnten jetzt zum entscheidenden Faktor werden. Per Johannsson, Trainer der Niederlande, sieht aktuell den vierten Platz im Halbfinale der Turniere völlig offen. Warum also nicht Deutschland?
Alleine an der Partie gegen Ungarn konnte man bereits erkennen, wie viel nur eine einzige Woche mehr an gemeinsamem Training das deutsche Team weitergebracht hat. Klar, man sollte auf keinen Fall vergessen, dass der Gegner aktuell nicht zur Weltspitze zählt und man mit der Unterstützung der eigenen Fans sicherlich auch ein Stück getragen wurde. Dennoch war erneut ein weiterer Schritt nach vorne zu erkennen.
Und neben der Zeit spielt Gaugisch ganz sicher in die Karten, dass er momentan eine große Auswahl an Spielerinnen zur Verfügung hat. Nein, davon stellen nicht acht, neun oder zehn Weltklasse dar. Aber es hilft enorm weiter, wenn der Konkurrenzkampf groß ist und viele Spielerinnen Vollgas geben müssen, um einen Platz im Kader zu ergattern. Der Traum Olympia lebt immer noch und die Heim-WM steht schneller vor der Tür, als viele denken. Wer die Wahl hat, hat also nicht immer die Qual, sondern tatsächlich einfach nur die Wahl. Und die macht Lust auf mehr.