
Es gibt keine Alternative
November 7, 2022
von Sascha Staat
Die Lage der Nation: Es gibt keine Alternative
Es war mal wieder ein absoluter Hexenkessel, das Sportski Centar Moraca in Podgorica. Und das bekamen die deutschen Frauen in ihrem zweiten Gruppenspiel deutlich zu spüren. Die frenetischen Fans machten aus diversen Gründen den Unterschied. Dadurch steht das Team von Markus Gaugisch vor dem frühen Aus bei der EHF Euro 2022, hat aber auch eine große Chance. Es kann, obwohl es gegen Montenegro eine bittere Niederlage setzte, jetzt nicht nur Charakter beweisen.
Die Faktoren für das Endergebnis von 25:29 aus deutscher Sicht waren enorm vielschichtig. In Bezug auf die Fehlerquote und das Tempospiel wollte sich die DHB-Auswahl im Vergleich zum Sieg gegen Polen verbessern. Das gelang in beiden Bereichen, dennoch waren die Probleme augenscheinlich. Von der halbrechten Position kam die DHB-Auswahl über die gesamten 60 Minuten nicht zu einem einzigen Torabschluss. So konnte sich Montenegro auf die Schlüsselspielerinnen fokussieren.
Fast schon bezeichnend war es, dass Alina Grijseels und Emily Bölk nach der Pause elf der insgesamt 13 Treffer für ihr Team erzielten. Die anderen beiden Tore gelangen Alexia Hauf, die mit Beginn des zweiten Durchgangs ihr Debüt bei einem Turnier gab. Zahlen, die Bundestrainer Gaugisch überhaupt nicht gefallen dürften. Julia Maidhof und Maren Weigel blieben blass, zwischenzeitlich agierte sogar Silje Brøns auf der für sie ungewohnten Position. Alle Alternativen, – sie funktionierten jedoch nicht.
„Es reicht nicht zu sagen, dass wir gekämpft haben“, meinte Gaugisch daher nach dem Spiel. „Aber, und das möchte ich hervorheben, in so einem Hexenkessel kannst Du auch abgeschlachtet werden. Wir sind auf Augenhöhe gewesen und es hat nicht so viel gefehlt.“ Kein Wort verlor er derweil über die beiden Schiedsrichter, die absolut keinen guten Tag erwischten. Sicherlich beeinflusst von der wahnsinnigen Atmosphäre, verloren sie mit zunehmender Spieldauer immer mehr den Überblick.
Während sie vor der Pause noch die Option des Videobeweises nutzten, wurde später von dieser Möglichkeit kein Gebrauch mehr gemacht. Spätestens als Alina Grijseels in der Crunchtime die Hand der Gegenspielerinnen mitten ins Gesicht bekam und das deutliche Spuren bei der Kapitänin hinterließ, hätte es zwingend eine Zeitstrafe und sogar einen Rote Karte nach sich ziehen müssen. Es gab einen Freiwurf, mehr nicht. Weitere Entscheidungen sorgten für mehr als nur ein Stirnrunzeln.
Das soll beileibe keine Ausrede sein, es ist aber definitiv eine Erklärung. Genau wie die frühe dritte Hinausstellung gegen Xenia Smits, die somit bereits in der 35. Minute raus war, ein absoluter Game Changer. „Im Spiel will man es immer nicht wahrhaben“, sagte sie hinterher. Eine der Zeitstrafen sei „okay“ gewesen, die beiden anderen empfand sie jedoch als „nicht so dramatisch“. Sie fehlte in der Defensive und – womit wir wieder beim Thema wären – als wichtige Alternative in der Offensive.
So hing es dann erneut, wie schon gegen Polen, an Alina Grijseels und Emily Bölk. Für sie war es unglaublich schwer. Immer wieder rieben sie sich an der montenegrinischen Deckung auf. „Wir mussten viel investieren, bis wir zum Tor kamen“, analysierte Markus Gaugisch. „Das ist der Vorteil, den die abgezockten Spielerinnen von Montenegro dann hatten.“ Symptomatisch dafür waren auch zahlreiche Tore von Itana Grbic per Schlagwurf, bei denen die deutsche Abwehr zu passiv agierte.
Und trotz all dieser Faktoren hat es das deutsche Team morgen gegen Spanien selbst in der Hand, die erkennbare Entwicklung der letzten Monate zu bestätigen. Zwar kann man sich eine Niederlage mit zwei Toren erlauben, aber das wäre der falsche Ansatz. Zumal die DHB-Auswahl an die eigene Stärke glauben soll und darf. Die Fähigkeiten reichen definitiv für einen Sieg gegen Spanien aus. Denn zu einem Erfolg gibt es tatsächlich keine Alternative.