
“Unsere Leistungen müssen stabiler werden”
October 21, 2022
von J. Schuetz
2014/15 stieg sie mit den Handballerinnen von Borussia Dortmund in die 1. Bundesliga auf. Fünf Jahre später brachten ein Virus und eine fragwürdige Entscheidung der Frauenhandballbundesliga, sie und ihre Mannschaftskameradinnen um die erste Meisterschaft.
Selbige konnte dann erstmals im Jahr 2021 in Dortmund gefeiert werden. Nach einer Saison für die Geschichtsbücher (der BVB verlor 2020/21 kein einziges Bundesligaspiel) wurde Alina Grijseels zu Deutschlands Handballerin des Jahres gekürt und seit Juni 2021 ist die 26-jaehrige, neben Emily Boelk, Co-Kapitänin der Frauenhandball Nationalmannschaft.
Sowohl in ihrem Klub, Borussia Dortmund, als auch in der deutschen Nationalmannschaft ist Grijseels zur Schlüsselspielerin gereift.
Wenig überraschend werden Erfolg und Misserfolg, in Verein und Nationalmannschaft, maßgeblich von der 1.75 Meter großen Spielmacherin entscheidend mitbestimmt und derzeit gibt es in Deutschland keine zweite Handballerin, mit den Qualitäten von Grijseels.
Nach den Krisenwochen in Dortmund – die Unruhen, durch die erhobenen Missbrauchsvorwürfe von den beiden Spielerinnen Zschocke und Berger an den mittlerweile entlassenen Trainer, Andre Fuhr, belasteten die Betroffenen, Mannschaft und Verein gleichermaßen – erhofft sich Grijseels einen Professionalisierungsschritt.
Kurzfristig hat sich die Lage im Klub nach der Verpflichtung von Ex-DHB Nationaltrainer, Henk Groener, beruhigt, aber hinter den Kulissen muss zeitnah entschieden werden, welche Perspektiven sich für die Handballerinnen in den kommenden Jahren eröffnen sollen.
Die Zeit drängt, wenn man einen schlagkräftigen Kader für die kommende Saison zusammenstellen will und den neuen Trainer über den Sommer 2023 hinaus behalten möchte.
Bleibt zu hoffen, dass die Verantwortlichen im Verein die Zeichen der Zeit erkannt haben und um die Bedeutung ihrer Ausnahmespielerin wissen.
Die anstehenden Entscheidungen in Dortmund werden richtungsweisend sein, ob sich die Handballabteilung des BVB in der nationalen und internationalen Spitze dauerhaft etablieren kann.
stregspiller.com sprach mit Alina Grijseels über gleich zwei neue Cheftrainer (Markus Gaugisch und Henk Groener), ihre Erwartungen vor der anstehenden EHF EURO 2022 in Slowenien, Montenegro und Nordmazedonien, was passieren muss, um den Frauenhandball medial besser zu präsentieren und warum sich der deutsche Frauenhandball nicht schneller entwickelt.
Was macht Markus Gaugisch (seit April 2022 DHB-Cheftrainer der deutschen Frauenhandball Nationalmannschaft) anders, als sein Vorgänger Henk Groener?
AG: Eine Gemeinsamkeit ist auf alle Fälle, dass beide Trainer sehr kommunikativ sind.
Der Unterschied liegt vielleicht darin, dass Markus (Gaugisch) sehr Detail versessen ist, was wir spielen sollen und er ist sehr genau in Taktik Besprechungen. Ich denke das ist der Hauptunterschied zu Henk (Groener). Henk hat mehr auf die Eigenverantwortung der Spielerinnen gesetzt. Markus lässt letzteres nicht außen vor, aber er hat schon sehr genaue Vorstellungen, wie das Spiel zu sein hat.
Die Vorbereitungsphase auf die EHF EURO 2022 ist für alle Mannschaften sehr kurz. Auf welche Spielelemente legt der Bundestrainer besonderen Wert?
AG: Die Abwehrarbeit ist ein sehr großes Thema. Mehr ins Risiko zu gehen. Antizipativ zu spielen. Den Gegner unter Druck zu setzen. Das waren so die Kernpunkte, die wir versucht haben in der letzten Lehrgangswoche anzureißen und woran wir dann kurz vor der EM weiterarbeiten werden.
Welche speziellen Erkenntnisse hat Alina Grijseels aus den beiden Vorbereitungsspielen gegen die Olympiasiegerinnen aus Frankreich ziehen können?
AG: Ich meine, dass wir unser Angriffsspiel sehr gut umgesetzt haben und ich weiß jetzt nicht, wann Frankreich in den letzten Jahren in zwei Spielen jeweils so viel Gegentore bekommen hat? Sie sind dafür bekannt, eine sehr gute Abwehr zu stellen.
Unser großes Thema war der Rückzug, wo wir in der Tat nicht konsequent genug waren und unsere eigene Abwehrarbeit betreffend ist ebenfalls noch Luft nach oben. Dennoch war es ein perfekter Test, um zu sehen, woran wir arbeiten müssen. Was funktioniert noch nicht? Welche Feinabstimmung brauchen wir noch, um unser Spiel weiterzuentwickeln?
Warum macht der Frauenhandball in Deutschland nur so langsam Fortschritte?
AG: Zunächst glaube ich, dass wir in Deutschland genügend Talente haben. Ich denke, dass kann man auch gut in den Jugendnationalmannschaften sehen, die bei den großen Turnieren sehr oft auch eine gute Rolle spielen.
Die Talente sind da, aber im Übergang von den Juniorinnen nach oben ist zu wenig passiert, auch im athletischen Bereich, obwohl das mittlerweile deutlich besser geworden ist. Dennoch da ist noch viel Luft nach oben.
Genauso wie in der individuellen Ausbildung bei den Vereinen. Wenn ich sehe, was bei den Bundesligavereinen im allgemeinen passiert, dann denke ich das z.B. in Dänemark, die individuell technische Ausbildung besser ist.
Das hört man oft, dass gerade in Skandinavien aber auch Frankreich, die Anschlussförderung aus dem Jugend- in den Seniorenbereich besser ist. Könnte man die Strukturen nicht einfach kopieren?
AG: Das ist eine gute Frage. Ob man das haargenau so kopieren kann ist aus meiner Sicht schwer zu beurteilen. Aber ich denke schon das sich – wenn ich es mit meiner eigenen Jugendzeit vergleiche – einiges in Deutschland entwickelt hat. Das war zu meiner Zeit alles schon noch etwas schwieriger.
Vielleicht liegt einiges davon auch an der grundsätzlichen Sportförderung des Handballs in Deutschland. In Skandinavien hat der Handball einen anderen Stellenwert und ist sehr, sehr hoch angesehen und dementsprechend liegt auch der Fokus auf diesem Sport. Das ist in Deutschland der Fußball.
Im Hinblick auf die Olympischen Spiele 2024 in Paris sind viele Mannschaften zur Zeit im Umbruch. Wie sieht Alina Grijseels die derzeitigen Kräfteverhältnisse im internationalen Frauenhandball?
AG: Auch das geht in die Richtung Talent Entwicklung, um in der Weltspitze anzukommen. Aktuell, so meine ich, haben wir eine sehr gute Mannschaft, die ja immer noch sehr jung ist und Potential hat. Wir sind gewillt den Fokus noch mehr auf den Handball zu legen und haben eine Anzahl Spielerinnen, die Champions League Erfahrung haben. Dasselbe war in den letzten Jahren nicht immer so. Am Ende ist das aber mitentscheidend, diese internationale Härte zu haben.
Bei Norwegen ist der Altersunterschied bestimmt höher. Mit Stine (Oftedal), Nora (Mork) und Veronika (Kristiansen) sind einige im Klub der “30iger”.
Andererseits sah man gerade im jüngsten Golden League Turnier, als Stine Oftedal und Nora Mork nicht mitspielten, dass sie die Sache locker gewinnen konnten. Da scheint doch einiges an Talenten nachzukommen.
Einfach wird es nicht, so eine Mannschaft zu verdrängen. Aber es sollte der Anspruch von Deutschland sein auch einmal dort hinzukommen, wo Norwegen ist.
Karl Heinz Rummenigge (Ex-Vorstandsvorsitzender von Bayern München (Fußball)) wurde kürzlich mit den Worten zitiert: “Das Wachstumspotential im Fußball liegt nur noch im Mädchen- und Frauenbereich. Ich weiß das Borussia Dortmund sich aus den unteren Ligen nach oben arbeitet. Ein Klub wie der BVB muss sich in der Fußball Frauenbundesliga engagieren. Wir brauchen die großen Namen.”
Eine Aussage, die man ohne weiteres auf die Frauenhandball Abteilung des BVB übertragen kann?
AG: Ja – mit Sicherheit. Gerade im Hinblick auf die Handballfrauenbundesliga (HBF) haben wir ein unglaubliches Potential – insbesondere unter dem Gesichtspunkt des Marketings.
Wenn man sieht, wie die Handball Bundesliga der Männer (HBL) sich entwickelt hat und vermarktet wird, dann gibt es bei der HBF noch deutlichen Verbesserungsbedarf.
Über den Frauenfußball sprechen jetzt gerade alle, weil die Mannschaft eine erfolgreiche Europameisterschaft gespielt hat und weil sie ein Publikum begeistert und mitgerissen haben.
Am Ende kommt so was immer mit dem Erfolg. Daher sehe ich es auch als die Aufgabe der Frauenhandball Nationalmannschaft an, Erfolg zu generieren, um dann auch genau diese Aufmerksamkeit nutzen zu können.
Die DFB-Fußballerinnen hatten in der Vergangenheit schon deutlich mehr Erfolg (u.a. zweimal Welt- und achtmal Europameister), als den zweiten Platz zu gewinnen. Bekommen die Fußballerinnen mittlerweile nicht einfach viel mehr Medienaufmerksamkeit, weil sich gerade das öffentliche Bewusstsein verändert? Stichwort “Equality” und “Inklusion”?
AG: Auf jeden Fall – da stimme ich zu. Aber daraus ergibt sich ja auch für uns die Chance, diese Entwicklung zu nutzen. Wir wollen, dass der Frauensport genauso gefördert wird, wie der Maenner Sport. Auch von der Bundesregierung hört man das immer wieder.
Natürlich wird der Frauenfußball gerade mehr wahrgenommen, aber auch deswegen besteht jetzt die Chance den Frauensport bzw. den Frauenhandball entsprechend zu positionieren, um weiter voranzukommen.
Macht der DHB in dieser Hinsicht genug? Sollten z. B. die TV Übertragungsrechte von Großveranstaltungen der Männer Handballer mit denen der Handballfrauen, als ein Paket den öffentlich-rechtlichen Sendern angeboten werden, um so die Sichtbarkeit zu erhöhen?
AG: Das würde uns natürlich extrem helfen, wenn wir bei den öffentlich-rechtlichen Sendern laufen würden. Aber auch die Sichtbarkeit bei kleineren Sendern, wie Sport1 oder Eurosport hilft.
Momentan können Handball Fans die Spiele der Frauen im Livestream sehen, aber ein breites Publikum, welches nun einmal immer noch vor dem Fernseher sitzt, wird so nicht erreicht.
Der sogenannte Otto-Normalverbraucher hat keine Chance Frauenhandball im öffentlich-rechtlichen Fernsehen wahrzunehmen, weil er dort nicht stattfindet. Daher kann er oder sie sich dafür dann auch nicht begeistern.
TV-Präsenz ist immer ein großes Thema und es wäre einfacher, wenn man die Übertragungsrechte an die der Handball Männer koppeln könnte, weil die schon die Aufmerksamkeit haben.
Zum Thema “Online Streaming” gehört auch, dass gerade über diese Technik ein deutlich jüngeres Publikum (14 – 29-jaehrige) erreicht wird, sehr zur Freude von Vermarktern. Gemäß einer Langzeitstudie von ARD und ZDF aus dem Jahr 2020 verwendet diese Altersgruppe 72% ihrer Videozeit für Streaming-Angebote. Bietet es sich daher nicht an, sich von linearen Medien, wie dem TV, komplett zu verabschieden?
AG: Persönlich glaube ich nicht, dass das Fernsehgen aussterben wird. Es wird vielleicht weniger wichtig, aber natürlich geht die Entwicklung dahin, das vermehrt Inhalte über Streaming angeboten werden.
Wie zum Beispiel bei DAZN oder Amazon Prime, die mittlerweile auch Fußball machen. Auch die Inhalte von S-Nation werden demnächst via Stream zu sehen sein.
Ja – die Entwicklung geht dahin, aber ich denke nicht, dass die großen TV-Sender ganz außen vor gelassen werden, weil sie immer noch eine sehr große Reichweite haben. Über die Zielgruppe kann man diskutieren, aber am Ende ist die Reichweite wichtiger.
Wo stehen die Handballerinnen von Borussia Dortmund am Ende der Saison 2022/23?
AG: Es ist im Moment tatsächlich sehr schwer einzuschätzen. Ich denke wir haben jetzt eine gute Chance, aus den negativen Ereignissen der letzten Wochen, etwas Positives zu gestalten.
Ich erhoffe mir, dass der Verein die richtigen Lehren zieht und einen Professionalisierungsschritt macht. Letzterer hilft, nicht nur in der Bundesliga, sondern auch im internationalen Vergleich, uns wieder ganz vorne zu etablieren.
Die Meisterschaft wird in dieser Saison bestimmt kein Thema sein, weil ich der Meinung bin, dass Bietigheim sich nur selbst schlagen kann. Aber der zweite Platz sollte das Ziel sein und international halte ich es für wichtig, dass wir uns entsprechend präsentieren und bewerben.
Was wünscht Alina Grijseels sich für die anstehende Europameisterschaft?
AG: Tja wünschen… einen Titel natürlich (lacht). Im Ernst – ich möchte, dass wir in unserer Entwicklung den nächsten Schritt gehen und das unsere Leistungen stabiler werden.
In der Vergangenheit haben wir es immer wieder geschafft bei einem Turnier, bis zu einem gewissen Zeitpunkt, gute Leistungen zu zeigen und dann nicht mehr. An dem Punkt müssen wir arbeiten und das sollte der nächste Schritt sein.
Natürlich ist Olympia 2024 ein Fernziel und auch dafür ist eine entsprechend gute Platzierung nötig.